Anfang 2017 stellte sich Cornelia M. nach mehreren Jahren Zahnarzt-Abstinenz wieder bei uns vor. Seit kurzer Zeit plagten sie Zahnschmerzen. Eine Situation, wie sie uns täglich mehrfach begegnet. Jedoch entdeckte Dr. Schrittenlocher eine Veränderung im Mundraum von Frau M. und bat sie, sich schnellstmöglich in der Uniklinik vorzustellen. Diagnose: Mukoepidermoides Karzinom – oder kurz Mundkrebs.
Es folgten unzählige Operationen. Frau M. kämpft und teilt ihren Weg auf Facebook und Instagram mit Freunden und anderen Weggefährten. Zusammen mit ihr möchten wir über das Thema Mundkrebs aufklären und haben deshalb folgendes Interview mit ihr geführt:
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Als Sie sich am 12.01.2017 nach längerer Zahnarzt-Abstinenz bei uns vorstellten, entdeckte Dr. Schrittenlocher bei der routinemäßigen Kontrolluntersuchung eine Veränderung in Ihrem Mundraum. Hatten Sie diese Stelle vorher schon selbst bemerkt?
Gar nicht. Ich bin gekommen, da ich Zahnschmerzen hatte – nicht mal seit 24 Stunden. Da dachte ich: „Geh mal lieber, bevor es schlimmer wird!“. Dr. Schrittenlocher sagte, dass da eine größere Veränderung im Mundraum sei und ich das dringend mal abchecken lassen sollte.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als er Ihnen empfahl, sich in der Uniklinik vorzustellen?
Ich bin selber gelernte Krankenschwester und wusste, dass es ein Tumor ist. Nur nicht, ob gut- oder bösartig. Deshalb bin ich erstmal noch relativ unbefangen in die Uniklinik gegangen. Ich hatte schon Angst, aber mir war noch nicht bewusst, wie schlimm es wirklich werden sollte…
Wie ging es in der Uniklinik weiter?
In der Zahnklinik haben sie ein DVT (*) gemacht und den Bereich punktiert. Ich wurde weiter überwiesen an die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Dort kam dann der Begriff „Neoplasie“ ins Spiel. Da wurde mir das erste Mal richtig bewusst, dass es wohl doch was Schlimmeres ist. Es wurde direkt ein OP-Termin vereinbart. Als allerdings kurz vor dem OP-Tag nochmal eine Probeentnahme stattfand, und diese weder gut- noch bösartig ausfiel, wurde der Termin zunächst gecancelt und ich musste ins MRT. Der Oberarzt sagte, sie würden jetzt einfach so operieren, als wäre der Tumor bösartig. Meine erste OP hatte ich dann am 02.02.2017.
Was wurde operiert?
Geplant war, dass man den Tumor entfernt und zur Abdeckung einen Radialis-Lappen am Arm entnimmt. Ich habe einfach alles unterschrieben, was man mir hingehalten hat. Ich war wie in Trance, habe es gar nicht richtig realisiert und nur geweint.
Sie haben den Tumor am harten Gaumen mit zwei Zentimetern Sicherheitsabstand entfernt, dazu eine Teilresektion des Oberkiefers und eine partielle Gaumenresektion. Der Defekt wurde mit der Wangenschleimhaut gedeckt, so dass doch kein Gewebe am Arm entnommen werden musste. Eine Verbandplatte wurde am Gaumen festgeschraubt.
Zwei Wochen später waren die Ergebnisse aus der Pathologie da. Ich werde diesen Moment nie vergessen: Ich kam in das Besprechungszimmer des Arztes und sah den Befund schon auf dem PC: Karzinom! Da musste ich erstmal schrecklich weinen. Wir hatten jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder engmaschige Kontrollen oder die nächste OP. Ich wollte, dass sie alles entfernen, was weiteren Krebs verursachen könnte. So ging es in die nächste Sektion. 18 Lymphknoten wurden entfernt.
Danach musste ich das Trinken unter logopädischer Aufsicht wieder neu erlernen. Essen war gar nicht möglich. Auch konnte ich nur schlecht sprechen. Da ich meine Krankheit zu dem Zeitpunkt noch nicht öffentlich gemacht hatte, wurde sich sogar über mich lustig gemacht.
Es folgten weitere OPs, weitere Lymphknoten wurden entfernt.
Ich musste mich dafür einsetzen, dass ein Knochenaufbau gemacht wird. Die Krankenkasse spielte erst nicht mit, aber nach einer Begutachtung wurde es dann doch genehmigt. Im September 2018 wurde im Beckenkamm Knochen entnommen und damit der Oberkiefer wieder aufgebaut. Der Knochen wurde jedoch abgestoßen. In vier Operationen zwischen September und Dezember wurde versucht, den Knochen zu retten – erfolglos.
Im Februar 2019 der zweite Versuch. Mein Gesicht schwoll extrem an, ich hatte einen Virus und hohes Fieber. Erst mit einem Stäbchen, das zur Drainage eingebracht wurde, und massiver Antibiotika-Therapie, besserte sich mein Zustand langsam.
Ein Post von Cornelia M. auf Instagram.
Eingezeichnet ist der Bereich des Knochenaufbaus
Ich habe eine Parese zurückbehalten, wodurch ich starke Schmerzen im linken Arm, Schulter und Nacken habe und den Arm kaum bewegen kann. Mit Messer und Gabel essen geht auch nicht mehr.
Übermorgen habe ich wieder eine OP. Die alten Schrauben zur Stabilisierung werden entfernt und es wird versucht, Implantate zu setzen, auf die festsitzender Zahnersatz verankert werden kann.
Wie viele Operationen hatten Sie insgesamt?
15? 16? Ich habe aufgehört zu zählen.
Sie haben Ihre Geschichte bei Facebook und Instagram („Große Klappe – Krebs dahinter“) veröffentlicht. Wie kamen Sie dazu? Welche Reaktionen haben Sie erhalten?
Ich bin bei den 1st Class Supporters, einem Fanclub vom FC Bayern, und die haben ein riesen Banner gebastelt, auf dem „Kämpfen, Conny!“ stand. Die haben mich total unterstützt. Dann habe ich auf Facebook eine Seite eröffnet, auf die ich all meine Freunde eingeladen und dort einmal komplett meine Geschichte erzählt habe. So musste ich es nicht jedem einzeln mitteilen – das macht einen ja kaputt. Instagram kam dazu. So auch immer mehr Wegbegleiter. Ich wollte mich mit anderen austauschen, aber meine Art von Mundkrebs ist extrem selten.
Ihre Freunde vom FC Bayern-Fanclub stehen hinter ihr
Bei Facebook wird man schon gepusht und bekommt viel positives Feedback; aber man erlebt auch die andere Seite. Ich musste mir z.B. auch anhören, dass ich kräfteraubend sei und in Selbstmitleid verfallen würde.
Mir ist egal, wie viele mir in den Sozialen Medien folgen. Es geht mir nicht um Follower oder Berühmtheit! Ich will in die Öffentlichkeit, weil Krebs weiterhin ein Tabuthema ist und ich aufklären möchte. Da muss noch ganz viel passieren. Mich stärken die negativen Kommentare – da mache ich erst recht weiter!
Ich habe gehört, dass Sie auch außerhalb der Sozialen Medien aufklären!?
Ich helfe anderen Betroffenen in der Uniklinik über den Haus LebensWert e.V. als ehrenamtlicher Onko-Lotse. Ich höre zu, helfe mit Anträgen. Gerade junge Erwachsene kriegen sonst wenig Hilfestellung, da man nur schwer an Infos kommt. Auch da ziehe ich meine Kraft raus. Ich sage mir immer: „Wer weiß, wofür mein Krebs gut war.“
Dr. Schrittenlocher hat mein Leben gerettet. So ist es auch mein Ziel, durch Aufklärung Menschenleben zu retten.
Was möchten Sie anderen Menschen mit auf den Weg geben?
Geht regelmäßig zur Vorsorge! Ich habe aber auch von vielen gehört, dass ihr Zahnarzt nicht so genau hinschaut und das eventuell gar nicht entdeckt hätte. Man sollte auch viel öfter selbst genau hinschauen. Einfach mal einen Spiegel nehmen. Ich hatte gar kein Gefühl für meinen Mundraum, da ich vorher so lange nicht beim Zahnarzt war.
Außerdem sollen die Leute nicht vorschnell urteilen. Nicht nur der Krebs haut einen um, sondern auch die Spätfolgen. Man sieht gesund aus, aber was innerlich passiert, kriegt die Außenwelt nicht mit. Ich möchte mich davon nicht lossprechen! Bevor ich selbst an Krebs erkrankt bin, war das bei mir vielleicht auch anders. Regt euch nicht über Kleinigkeiten auf! So viele Menschen wollen leben und dürfen es nicht mehr.
Wir wünschen Ihnen alles nur erdenklich Gute für die anstehende OP und Ihren weiteren Lebensweg, liebe Frau M.! Es ist bemerkenswert, mit wie viel Power Sie dem Krebs entgegentreten!
Vielen Dank! Es fällt mir schon schwer zu sagen: “Das geht bestimmt gut“. Ich hoffe es, aber stelle mich aufs Schlimmste ein…
Ich muss zugeben, dass ich mir nicht nur ein Mal gedachte habe: „Sterben wäre einfacher gewesen“, aber dann rappelt man sich auf und macht weiter – nur nicht aufgeben!
Cornelia M. vor unserem Praxisschild.
„Geht regelmäßig zum Zahnarzt!“, rät sie.
*Digitale Volumen Tomographie – Dreidimensionales Röntgenbild
Interview vom 01.07.2019 geführt durch Katrin Gysler, Zahnarzt am Rudolplatz.
Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung durch Cornelia M. (Instagram @frauklarerkopf)
Zusatz von Dr. Matthias Schrittenlocher:
„Die Geschichte von Frau M. hat mich tief bewegt. Es ist für uns Ärzte auch eine emotionale Reise, die wir mit unseren Patienten gehen.
Zum Glück gehören Tumoren nicht zu unserem zahnärztlichen Alltag; dennoch sind Veränderungen der Mundschleimhaut häufig.
Es sind nicht nur Tumoren, die von uns Zahnärzten als erstes gesehen werden. Auch bei Autoimmunkrankheiten wie Pemphigoid, Leukämie oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen können die ersten Symptome im Mundraum zu erkennen sein.
Dies ist unter anderem auch ein Grund, weshalb wir eine halbjährliche Kontrolluntersuchung empfehlen. Denn sollten derartige Veränderungen auftreten, ist es wichtig, dass diese möglichst früh erkannt werden. Jede Veränderung der Mundschleimhaut, die länger als zwei Wochen besteht, sollte grundsätzlich abgeklärt werden – die meisten werden aber von den Betroffenen übersehen.
Die Schleimhautveränderungen sind zu Beginn oft schmerzlos. Nicht selten deuten Betroffene Schleimhautdefekte als Druckstelle oder Bissverletzung. Für einen selbst ist es sehr schwer, diese Veränderungen zu erkennen. Viele Bereiche im Mund kann man selbst nicht einsehen. Auch die Größe der Mundhöhle wird häufig unterschätzt und hinzu kommt die Tatsache, dass der Mund für viele Menschen eine Intimzone ist oder sie sich schlicht keine Gedanken darüber machen, dass sich dort etwas verändern könnte.
Krebs im Mund entsteht nicht über Nacht, sondern kündigt sich meist durch unscheinbare und leicht zu übersehende Vorstufen an, aus denen erst im Verlauf von Monaten oder Jahren bösartige Tumoren entstehen. Im Frühstadium erkannt, sind die Chancen für eine Heilung von Karzinomen der Mundhöhle sehr gut. Aus diesem Grund ist die Vorsorgeuntersuchung so wichtig, denn dabei schauen wir nicht nur nach Zähnen und Zahnfleisch, sondern nehmen routinemäßig auch die ganze Mundhöhle in den Blick. Dem geschulten Auge fällt die problematische kleine Stelle schnell auf und dann können in Absprache mit dem Patienten weitere Schritte erfolgen.
Ich finde es bewundernswert, wie Frau L. mit der Situation umgegangen ist. Besonders, dass Sie trotz der Rückschläge im Denken positiv geblieben ist und sich nicht hat unterkriegen lassen, spricht für sich. Sicherlich muss jeder seinen eigenen Weg finden, wie man mit einer solchen Situation umgeht.
Herzlichen Dank, dass Sie so ausführlich und offen über ihren steinigen Weg gesprochen haben, liebe Frau M.! Ich bin mir sicher, dass dies einigen Menschen hilft und helfen wird, ihren eigenen Weg zu finden.“
Hilfe und Informationen für Betroffene:
https://www.facebook.com/Conny34/
https://www.vereinlebenswert.de/
Auch Cornelia M. steht Ihnen bei Fragen zur Verfügung. Den Kontakt vermitteln wir gerne.